Ungarns Weg in die EU
Ebenso wie Deutschland, dass in der Krise darunter leidet, dass die sich Auftragslage zu den vielen ausländischen Auftragsnehmern verschlechtert ha t und deshalb ihre Produktionskapazitäten herunterfahren und die Kurzarbeiterlösungen der Regierung in Anspruch nehmen, so trifft es Ungarn in einer vergleichbaren Lage, die noch schlimmer ist. Ungarns Exporte haben sich mengenmäßig in den vergangenen Jahren hauptsächlich nach Deutschland orientiert.
Wen wundert es , dass dann die Auswirkungen der Krise in den osteuropäischen Staaten die Ungarn am meisten betrifft. Immerhin hat sich die ungarische Währung (Forint/HUF) mit kleinen Schwankungen nach oben und untern bei ca. 260,00 HUF für einen EUR stabilisiert. Vorteil für alle EURO-Länder: Deren Reisende können mit niedrigen Preisen bei Übernachtungen, Restaurants, Cafés und niedrigeren Eintrittspreisen in die Thermen des Landes rechnen. Soweit so gut, Ungarn ist preislich noch ein anziehendes Urlaubsland geblieben.
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Ungarn hat aber bereits seit der Wende 1989 sein hausgemachtes Problem. Die Auslandsschuldenhöhe aus der Zeit des Gulasch-Kommunismus‘ betrug 17,5 Milliarden EUR. Aus deutscher Sicht hört sich das nicht so umwerfend an, weil uns die Regierung die Milliarden (Schulden) nur so um die Ohren haut. Für den ungarischen Staatshaushalt war und ist das aber ein Desaster, wenn man bedenkt, dass der gesamte damalige Haushalt nur schlappe 20 Milliarden EUR betrug. In der Wendeeuphorie wurden aber alle Bedenken fortgewischt, und die Regierung hat es versäumt, der Bevölkerung das Drama deutlich zu machen und das Budget zu korrigieren – zugegeben, das wäre zu damaliger Zeit wie
die Quadratur des Kreises geworden und hätte das deutsche Prinzip: „Linke-Tasche-rechte-Tasche“ zur Folge gehabt. Nach der Wende öffneten sich die Grenzen für Kapital und Waren. Dabei war anfangs die Richtung einseitig, es ging vom Westen nach dem Osten. Westeuropäische Konzerne ließen Einkaufszentren und Supermärkte entstehen, die als Auffangbecken für die Warenflut aus dem Westen dienten. Das war einfach, weil die Affinität der ost- und mittelosteuropäischen Kunden zu westlicher Ware sehr groß war und meistens noch ist. Schließlich galt es als schick, beim französischen
Lebensmittelgroßmarkt Auchan einzukaufen und mit dem westlichen Auto an den Strand zu fahren.
Der Export westeuropäischer Waren und Dienstleistungen in die früheren stieg von 56 Mill. EUR auf 1,2 Mrd. EUR. Kapitalkräftige Unternehmen aus dem Westen, zumal aus Deutschland, kauften sich in profitversprechende ungarische Firmen ein. Das Verlagshaus Gruner & Jahr erwarb die Mehrheit an der größten ungarischen Tageszeitung, Springer (Bild Zeitung) gehören die Regionalblätter. Verständlich: Die Einkaufspreise waren herzerfrischend niedrig, die Konkurrenz erfreulich unfähig oder kaum vorhanden. Schließlich waren die wenigen ungarischen Unternehmer, die es schon gab, mit den kapitalistischen Spielregeln nicht vertraut - geschweige denn in ihnen geübt. Sie sind mit der kommunistischen Wirtschaft aufgewachsen, die auf Mangel und nicht auf Überfluss ausgerichtet war. Hersteller und Händler von Waren und Dienstleitungen war der Staat. Da konnte sich keine Konkurrenz entwickeln, von Verdrängung, Lobbyismus und anderen Tricks gar nicht zu sprechen. Die Konsumlust der Ungarn war umso erfreulicher, da es in den 1990er-Jahren in Deutschland eine Wirtschaftsflaute herrschte. Und natürlich gingen die Gewinne in die deutsche Heimat.
Ungarn exportierte nach der politischen Wende zunächst einmal Salami und andere Agrarerzeugnisse, denn die Wege waren schon seit dem Kommunismus gut ausgetreten (der Agrar-Import-Export-Bilanz ist bis heute positiv). Doch ungarische Hilfsarbeiter, die nach Deutschland kommen wollten, hatten es allerdings schwer – ihre Zahl wird bis heute reglementiert. Diplomatisch zurückhaltend formuliert es der ungarische Botschafter Sándor Peisch im März 2009 bei einem Interview mit Die Welt: „Wir und auch die anderen EU-Beitrittsländer haben unsere Märkte, unser Bankenwesen vollkommen geöffnet. Die alten EU-Länder haben das nicht vollständig getan. Deutschland und Österreich wollen ihren Arbeitsmarkt vor unseren Arbeitnehmern bis 2011 geschlossen halten. Es wäre schön, wenn das nationalistische Denken zurückginge und stattdessen mehr europäisch gedacht würde.“ Wohlgemerkt, es geht um Fach- und Hilfsarbeiter. Denn gut ausgebildete Ärzte werden hierzulande gern beschäftigt, auch wenn sie in Ungarn fehlen.
Autohersteller aus Westeuropa und dem Fernen Osten errichteten Fabriken in Ungarn – VW, Audi, Suzuki. Sie schufen Arbeitsplätze und verhelfen auch ungarischen Zulieferern zu Umsatz und Gewinn. Natürlich zahlen die ungarischen Arbeiter und Angestellte der ausländischen Unternehmen auch im eigenen Land Lohn- und Einkommensteuern, aber der Reingewinn der Autobauer fließt ins Ausland.
Wie das aussieht, zeigt das Beispiel Opel. Die deutsche Tochter der US-amerikanischen General Motors könnte allein die Wirtschaftskrise möglicherweise überleben. Doch da die Gewinne der Mutter zustehen, die eine schlechte Geschäftspolitik betrieben hat (mit unzeitgemäß großen Autos, die zu viel Benzin verbrauchen), geht es Opel besonders schlecht. Auch ein Alleingang der Tochter ist problematisch. Denn Opel ist Eigentum der Mutter GM.
Zweifellos verdankt Ungarn der EU und deren Subventionen viel. So nützen die Gelder etwa für den Straßenbau nicht nur den Ausländern sondern auch ungarischen Firmen. Weil aber die Ungarn einerseits als Konsumenten ausländischer Waren und Dienstleistungen sind und andererseits als preiswerte Mitarbeiter und Zulieferer ausländischer Firmen fungieren, mehren sie gar doppelt das deutsche, österreichische, französische und italienische Bruttoinlandsprodukt (BIP). So hängt das Wohlergehen der ungarischen Wirtschaft zum Großteil vom Erfolg der ausländischen Firmen ab. Eine gefährliche Abhängigkeit. Kurzarbeit 2008 in etwa Deutschland bedeutet Werksschließungen und Entlassungen in Ungarn. Weitere Schwierigkeiten bescherten dem Land die vielen ausländischen Banken.
Denn vor 1989 existierten in den kommunistisch regierten Staaten Mittelosteuropas keine Banken im bürgerlichen Sinn. Meist erfüllte eine Unterabteilung der Zentralbank auch die Finanzierung der Export-Import-Geschäfte der staatlichen Firmen. In Ungarn gab es neben der Zentralbank einige Handelsbanken mit gewissen Freiheiten. Allerdings Zinsen – die Grundlage des kapitalistischen Geldsystems – gab es nicht, ebenso wenig einen Kapitalmarkt.
Eine Lage wie geschaffen für die Eroberung durch westeuropäische Banken. Als erster Schritt gründete bereits 1986 die österreichische Creditanstalt (später Bank Austria) eine Filiale in Budapest. Bald folgte die ebenfalls alpenländische Raiffeisen Zentralbank (RZB). Deren Direktor Herbert Stepic sagte strahlend der Presse: „Die Ostöffnung war ein galaktisches Fenster für Österreich und die RZB“. Heute kontrolliert die österreichische Erste Bank die ungarische Postabank (und die Sparkassen in Tschechien und der Slowakei); die belgische KBC-Bank hat die Aktienmehrheit der ungarischen K&H-Bank (und die einiger polnischer Institute) und so fort.
Die neuen Geldhäuser boten den Menschen, die durch die Totalversorgung durch den kommunistischen Staat entmündigt waren, noch offensiver als hierzulande Kredite an. Von Zinsen und Gebühren wurde wenig gesprochen. Die Ungarn, die alles für gut hielten, was aus dem Westen kam, verschuldeten sich. Bald folgte eine Inflation, wozu auch die hohen Auslandskredite aus den 1970er-Jahren beigetragen haben, die bis heute andauert (nicht anders in Polen, Jugoslawien und Rumänien). Andererseits haben seit den 2000-er Jahren die jeweils neuen Ministerpräsidenten ihre Wahlversprechen nach Lohnerhöhungen (sogar) eingelöst; die amtierende sozial-liberale Regierung die Sozialleistungen kaum reduziert. Rentner fahren mit den öffentlichen Verkehrsmitteln bis heute umsonst.
Der Kampf mit den ausländischen Banken tobt weiter. Selbst Ende Juni 2009, 20 Jahre nach der Wende und Mitten in der Wirtschaftskrise werben deren ungarische Töchter für Ferienkredite. Etwa: Fahren Sie nach Kroatien ans Meer – zahlen können später. Der Staat hält mit Großplakaten dagegen und wirbt für Ferien am heimischen Balaton (Plattensee).
Um die Geldhäuser ging es auch zu Beginn der Krise: Ausgelöst wurde sie dadurch, dass im Herbst 2008 die US-Ratingagenturen Moody’s und Fitsch (die zuvor die Schuldscheine der Lehman Brothers als erstklassig beurteilten) Ungarn als schlechten Schuldner einstuften. Darauf zogen viele ausländische Investoren ihre Gelder ab, die (wegen den hohen Zinsen) in Staatsanleihen angelegt waren. Der Staatsbankrott war nahe.
In einer derartigen Situation muss die EU laut Artikel 119 des Gemeinschaftsvertrages in Form eines zinsverbilligten Darlehen Hilfe leisten, was zuerst 1993 im Fall Italiens praktiziert wurde. So überwies zunächst der Internationale Währungsfond (IWF) der Ungarischen Staatsbank 10 Milliarden Euro als kurzfristigen Kredit zu 2 Prozent Zinsen, die Europäische Zentralbank 5 Milliarden und die Weltbank eine Milliarde Euro, die letzteren beiden als langfristige Darlehen. Mit diesen Geldern im Rücken garantiert der Staat die Sicherheit der Einlagen bei den ungarischen Banken. Acht der etwa 15 Geldinstitute in ausländischer Hand – für die diese Sicherheiten nicht gelten, gelobten ein verantwortungsvolles Benehmen ihren ungarischen Kreditnehmern gegenüber.
Für die Hilfe musste die Regierung versprechen, das Haushaltsdefizit bis Ende 2009 nur vier Prozent wachsen zu lassen, und dass sie der Weltbank über die Entwicklung vierteljährlich Bericht erstattet.
Bei alledem ist Ungarn in der Zwickmühle: Weil die Inflation mit 10 Prozent immer noch hoch ist, betragen die Zinsen für Einlagen und Kredite zwischen 9 und 15 %. Das bremst zusätzlich das Wirtschaftswachstum, und verheißt für die Zukunft nichts Gutes, wenn die Kapitalzinsen für die jetzigen Einleger zurückgezahlt werden müssen. Außerdem musste die Regierung die für 2009 versprochenen Steuererleichterungen zurücknehmen, was wiederum den Konsum bremst.
Trotzdem: Mit den Hilfszahlungen und den eigenen Währungsreserven (von 17 Milliarden Euro) „kann Ungarn seine Auslandsschulden komplett abdecken“, so das Düsseldorfer Handelsblatt. Und: Zumindest „in den nächsten zwölf Monaten steht das Land gesichert da“ sagt Orsolya Nyeste, Volkswirtin bei der österreichischen Erste Bank.
Und Tibor Schindler von der Raifeisen-Bank, Wien sagte dem Wirtschafts-Fenrsehsender Bloomberg: „Das Land müsste erst einmal aus dem Schneider sein. Es besteht sogar die berechtigte Hoffnung, dass auch Ungarn gestärkt aus der Wirtschaftskrise heraus kommen wird.“
Tatsächlich gibt es viele Eigeninitiativen: Die Städte Győr und Esztergom bieten den Arbeitern, die bei den Autobauern im Februar 2009 entlassen wurden, Fortbildung und Jobs an. Durch die Krise arbeitslos gewordenen Hausbesitzern, die ihre Raten nur schwer zahlen können, gewehrt der Staat eine individuell ausgehandelte Hilfe. Häuser, deren Besitzer gar nicht zahlen können, wurden verstaatlicht, den Menschen wird ein Wohnrecht zugebilligt, sie bekommen Sozialhilfe und einen Mietzuschuss. „Das kostet weit weniger, als Milliarden den Banken in den Rachen zu werfen“, sagte ein kritischer Angestellter der größten ungarischen Bank OTP hinter vorgehaltener Hand.
Hoffnungsfroh stimmt auch, dass der IWF den Notfonds für Ost- und Mittelosteuropäische Länder auf 500 Milliarden Dollar erhöht hat. Die EU hat Ende März 2009 den Hilsfond für schwache EU-Staaten von 25 auf 50 Milliarden Euro aufgestockt. Außerdem besteht kurzfristig die Hoffnung, dass die europäische Wirtschaft wieder an Fahrt gewinnt. Langfristig, dass sich ungarische Unternehmen emanzipieren, und mehr Dienstleistungen und Produkte in Ungarn und im Ausland erfolgreich anbieten werden – wie bereits den guten Wein (siehe den Bericht unter Kultur/Ungarische Weine).
Doch bereits jetzt zeigt die Krise in Ungarn auch ihre gute Seite. Da das Land seine Währung behalten hat, benimmt sich der Forint, wie er sich in einer inflationären Krisenzeit zu benehmen hat, er fällt. Sein Wert vermindert sich. Für einen Euro bekam man vor einem Jahr 250 Forint, heute 270 - 280. Dies bewirkt einerseits, dass Importe teurer geworden sind. Doch weil die Import-Export-Handelsbilanz negativ ist, das heißt, Ungarn importiert zu viel und exportiert zu wenig, werden ausländische Produkte seltener gekauft. Das gleicht die Bilanz ein wenig aus und stützt die heimische Wirtschaft. Zumal durch die Geldabwertung für heimische Produkte und Dienstleistungen weniger Euros und Dollars hergeben muss.
Tatsächlich sind die grenznahen Städte und Dörfer, aber auch die Boutiquen, Kaufhäuser und Einkaufszentren in Budapest voller Einkaufstouristen aus Österreich, Deutschland und gar der Slowakei (auch Euroland). Der Hotelierverband am Balaton (Plattensee) war mit dem Ostergeschäft zufrieden, und das Ungarische Tourismusamt erwartet mehr Feriengäste im Sommer. Kein Wunder. Denn Hotels, Restaurants, Cafés und Thermalbäder sind für Besucher aus den Euro-Ländern geradezu verführerisch preiswert geworden.
Wesentliche Passagen mit freundlicher Genehmigung von Peter Meleghy
http://www.ungarnaktuell.de/Spezial.htm
Quellen: Magyar Nemzeti Bank (Ungarische Nationalbank); HVG, Heti Világgazdaság (Weltwirtschaftswoche); OTP, Országos Takarék Pénztár (Landessparkasse); Junge Welt; Handelsblatt; TV-Bloomberg; Ungarisches Tourismusamt
Kommentar von Franziska Langer
#1 27. Januar 2010, 6:35 pm Uhr |
Ich habe im vergangen Jahr eine Rundreise durch Ungarn gemacht und war ganz begeistert von Land und Leuten. Neben der beeindruckenden Natur habe ich viele freundliche Ungarn getroffen. Aber ich fürchte, dass das Preisniveau in den kommenden Jahren steigen wird.
Kommentar von Blogun
#2 5. Juni 2010, 4:13 pm Uhr |
Sehr nützliche Informationen. Danke.
Kommentar von Bettina
#3 17. Juni 2010, 7:44 pm Uhr |
Wir haben in Ungarn immer Urlaub gemacht. Das Land und die Menschen sind einfach spitze. Jetzt waren wir wieder dort und mussten feststellen dass die Preise gegenüber früher ganz schön nach oben geschnellt sind.
Kommentar von Daniela
#4 27. August 2010, 5:12 pm Uhr |
Ein gelungener Artikel.
Kommentar von Timi
#5 30. August 2010, 9:10 am Uhr |
Ich finde das Essen in Ungarn super!
Kommentar von Peter Schräpler
#6 30. August 2010, 9:04 pm Uhr |
Wann verstehen unsere “Ungarnfreunde”, die nur Schmalz kommentieren, um einen Backlink zu lancieren, dass sie von uns keinen kostenlosen bekommen!!!!
Jeder URL bekommt von mir einen …./dontfollow/ und der erhoffte Google-Effekt ist im Eimer. ;-)
Unsere Website [BLOG] ist keine “Linkschleuder” für Schlaumeier, sorry!